Als ich das erste mal den Begriff Selbstoptimierung hörte, dachte ich äußerst simpel – das Optimieren der eigenen Gesundheit, entgegen den zahlreichen „Wehwehchen“ des Alltags, inklusive allen Stress und was der Alltag sonst noch so mitbringt.
Im Zuge der Selbstermächtigung, also zum Beispiel Skills/Fähigkeiten zu erlernen die mir helfen mich gut zu fühlen und mehr Verantwortung für mich selbst zu übernehmen, hörte sich Selbstoptimierung doch erstmal ziemlich gut an. – Wie Dietrich Wabner wohl öfters sich sein Motto vergegenwärtigte: „wenn schon Mist, dann Optimist“. Zu Wissen, dass nach Murphy’s Gesetz „Shit happens“, und wenn dann richtig und alles, und das in einer optimistischen Grundhaltung zu begegnen – ist das Optimismus, oder schon toxischer Positivismus?! Die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo dazwischen, oder wie Paracelsus wohl sagen würde, die Dosis macht das Gift. Es liegt im Maß der Dinge, in welches Extrem das Pendel ausschlägt, oder ob wir die goldene Mitte wählen oder zumindest anstreben.
Um das anhand eines Beispiels etwas griffiger zu gestalten:
- Selbstermächtigung ist nicht, die eigenen Symptome zu googeln und dann blind einer Empfehlung zu folgen, oder diese dem behandelndem Arzt/Heilpraktiker um die Ohren zu hauen.
- Selbstermächtigung ist nicht, die eigene Verantwortung für das Wohlbefinden ohne das eigene Gehirn zu benutzen an jemand drittes abzugeben, egal ob Guru, Arzt, o.a.
- Selbstermächtigung ist nicht, bei Symptomen die schon seit Wochen bestehen in die Notaufnahme zu gehen.
- Selbstermächtigung ist nicht, jemand anders um Rat zu fragen, wenn man selbst noch nicht recherchiert hat.
- Selbstermächtigung ist, sich Wissen anzueignen, und die Transferleistung auf die eigene Situation anzuwenden.
- Selbstermächtigung ist, entsprechend der eigenen Möglichkeiten, die Behandlung von nicht akuten, nicht Notfällen, selbst zu behandeln zu versuchen. Sei es Wadenwickel, Wundauflagen, das gesamte naturheilkundliche Potpourri.
- Selbstermächtigung ist, zu Wissen was ein Notfall ist, und dann entsprechend zu handeln. So wie jeder Fahrschüler erste Hilfe Maßnahmen im Falle eines Unfalls beigebracht bekommt.
Selbstermächtigung ist also, um den linguistischen Nerd in mir zu würdigen, das Gegenteil der Hilf-losigkeit oder Ohn-Macht.
Selbstermächtigung, zum Beispiel was die eigene Gesundheit angeht, und diese durch Supplements (aka Nahrungsergänzungsmittel) zu optimieren – ist das nicht Selbstoptimierung?
Wie sich nach Recherche zum Begriff herausstellt, weit gefehlt. Der Begriff kommt aus der Mathematik/Technik (Prozessoptimierung), und hat dort auch den entsprechenden kapitalistisch-objektivistischen Touch.
Schneller, höher, weiter – das Leitbild scheint jedoch zunehmend der gesamtgesellschaftliche Trend zu sein. Denn es durchzieht sämtliche Lebensbereiche, zum Teil ohne dass wir es merken. Was anfangs zur Unterstützung gedacht war, führt zu absurden Szenarios: Menschen unterwerfen sich regelrecht bestimmten Idealen mithilfe der Technik. Dabei geht es weniger um allgemein übliche Routinen der Körperpflege, sondern mehr um gezieltes Bearbeiten – beispielsweise des eigenen Körpers, um ein bestimmtes Schönheitsideal zu erreichen.
Quelle: karrierebibel.de
Und mit diesem gesamtgesellschaftlichen Trend zeichnet sich auch ein wahnsinniger Druck ab, ein Druck der zum Beispiel bei jungen Menschen Eindruck macht, und dadurch Druck erzeugt. – ergänzender Link: einguterplan.de – Gegen die Härte der Selbstoptimierung hilft nur eins: hinlegen
Hinter der Selbstoptimierung, stecken ganz menschliche Bedürfnisse von Kontrolle, Erwartungen, Vergleiche und eine Spur Perfektionismus die mehr oder weniger jeder in unterschiedlicher Ausprägung in sich trägt.
Und gerade in dem Umgang mit diesen Bedürfnissen zeigt sich, ob man die Gratwanderung zwischen Selbstoptimierungswahn und kritisch-selbstreflektierender Selbstpflege (Self Care) meistert. Die großen Gegengewichte zum Wahn scheinen Selbstakzeptanz und Selbstliebe zu sein. Als würde man die Energie, die man zuvor aufgewendet hat anderen zu gefallen oder deren Erwartungen zu entsprechen, nun nach innen lenkt. „Verbesserung“ um seiner Selbst willen. – Dabei kann diese Gleichung natürlich genauso in die andere Richtung kippen und die eigenen narzisstischen Züge deutlich zu sehr nähren, und statt der Erwartungen von außen entwickelt sich ein egozentrisches Weltbild.
Es ist also nicht die Frage an sich, nach etwas besserem zu suchen und zu streben, sondern wie ist der Motor der Fragestellung gestaltet und von was wird er angetrieben. Die Motivation ist also ausschlaggebend.
Unsere Haut ist ständig sich verändernden Einflüssen unterworfen, und darauf zu reagieren, nach der „besseren“ (geeigneteren) Hautpflege zu suchen, ist also noch lange kein Zwang sich das neueste und teuerste auf die Hornschicht zu klatschen, sondern erstmal reine Reaktion auf Erfordernisse – schlägt das dann irgendwann in Selbstoptimierungsschienen die bis hin zur Sucht nach Schönheits-OPs führen, so hat man die goldene Mitte eindeutig verlassen.
Ich lebe im Pluralismus meiner Rezepturen, wenn ich eine DIY-Produkt selbst herstelle, oder von ausgewählten Firmen denen ich vertraue, deren Rezepte aber auch alle anders sind. Das Austesten, welches davon nun für mich am besten funktioniert, dass wäre meine naive Vorstellung von Selbstoptimierung gewesen, wie ich den Begriff ursprünglich für mich selbst definiert hätte.
Konsum ist ein Bestandteil unserer Grundstruktur – unser Körper konsumiert Nährstoffe um Energie zu generieren, genauso konsumieren wir viele andere Dinge in vielen Lebensbereichen – mal mehr mal weniger existenzialistisch betrachtet. Bei Dingen, die für unser Überleben aber nicht essenziell sind, können wir durch unsere Entscheidungen sehr wohl einen Einfluss darauf haben, welche Konzepte und welchen Geistes Kind wir mit unserer Kaufkraft unterstützen.
Selbstoptimierung umfasst alle möglichen Methoden der Selbstverbesserung, sowohl neuste Technologien als auch weitgehend technikfreie traditionelle Praktiken wie Bildung, Körpertraining, Diät oder Meditation. Auch im Zeitalter der Selbstoptimierung verbessern sich die Menschen keineswegs nur mit technischen Mitteln, sondern zu einem großen Teil durch Überwindung von Gewohnheiten und Feilen an der eigenen Lebensführung, durch Arbeit an sich selbst und ihrer Persönlichkeit
Quelle: bpb – Bioethik Selbstoptimierung
[…] sehr oft der Wunsch nach Kontrolle über das Selbst in einer immer unkontrollierbarer werdenden Umwelt die Ursache dieses Trends ist. Experten warnen davor, dass das Selbstoptimieren zu einem endlosen Prozess werden kann, in dem die bloße Zahl überhöht, ein „optimaler“ Zustand jedoch nie erreicht werden kann. Was also ist der Schlüssel zu einem gesunden und langen Leben? Wie viel Selbstkontrolle tut gut?
Quelle: 3sat Doku: Selbstoptimierung – Willst du ewig leben?
Die große Herausforderung, gesellschaftlich sowie für jeden Einzelnen, besteht wohl darin sich auf das einzulassen was letzten Endes doch nicht kontrolliert werden kann, weder durch Messungen, Trackingdaten oder Entwicklungsprognosen die „eventuell“ nicht eintreten.
Dabei suggerieren Daten und „Fakten“ oftmals eine Handfestigkeit/Greifbarkeit die sich im realen Leben oft nicht abbildet, und damit den Selbstoptimierungswahn eigentlich die ideologische Grundlage entzieht.
Die Lernmaxime heißt also auch: sich auf das Unkontrollierbare und Nichtmessbare des Lebens einzulassen. Und dabei nicht zu verhaftet an den Dingen und Glaubenssätzen zu hängen/bleiben, und sich eine gewisse geistige Flexibilität anzueignen. – Entwicklung und Optimierung als Spektrum zu Begreifen, dass wie bei einem Ideal nie wirklich erreicht werden kann, und darum realistische Ziele braucht.
ergänzende Links: