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„von der Natur emanzipieren“ – Gedanken

Nachdem ich neulich in dem Beitrag über naturwissenschaftlichen Meinungsimperialismus schrieb – ich steh auf diese Namesschöpfung, auch wenn es natürlich nicht meine eigene ist 😀 – folgt hier mehr oder weniger ein Zusatz.

Jedenfalls hat es mich eben daran erinnert, dass ich eigentlich auch noch eine andere Aussage von „Dr. Mai Thi Nguyen-Kim“ sehr bedenklich finde, wortwörtlich als auch vom Sinn her. Es ging darum, dass wir uns „von der Natur emanzipieren sollen“. In ihrem Beitrag wurde dann zum Beispiel die Irrläufer mancher evolutionärer „Fehlkonstruktionen“ angeführt (ein Horn eines Tieres das mit der Zeit sich so „kräuselt“ das es das Hirn des Tieres anbohrt). Dies sei ja der Beweis, dass die Natur – „Mutter Natur“ – nicht der Evolution letzter Schluss sei – durchaus zutreffend, denn Stillstand bedeutet Tod – und ob das ein legitimes Eingreifen des Menschen in die natürlichen Abläufe damit zu rechtfertigen wäre – frei nach dem Mechaniker-Grundsatz, was kaputt erscheint muss auch repariert werden – finde ich höchst fragwürdig. Das dabei schon in der Vergangenheit in komplexe Systeme eingegriffen wurde, und sich hinterher gezeigt hat, dass man so gar nicht wirklich verstanden hat was man da gemacht hat, war der Schaden oft schon angerichtet.

Der Begriff „Mutter Natur“ suggeriert sehr romantisiert eine fürsorgliche Umgebung in der sich die „Kinder“ so richtig ausleben können, ohne Gefahr und vor allem ohne Verantwortung. Und da liegt die Krux begraben! Jedesmal wenn der Mensch eingreift und sich der Verantwortung entzieht, zieht sich eine Katastrophe nach der anderen hinterher. Vielleicht ist das auch diesem biblischen Un-Satz geschuldet „er [der Mensch/Mann] solle sich die Erde [/Natur] untertan machen“ – einen besseren Imperativ für „macht wie ihr denkt, aber bitte macht euch keine Gedanken um die Konsequenzen“ gibt es fast nicht.

Es erscheint, als wären wir kleine Kinder die von Mutter Natur nur nehmen wollen/sollen, aber beim Geben oder bei etwaigen mütterlichen Zornesausbrüchen, sollen wir uns als „Trotzreaktion“ dann emanzipieren?! Wie undifferenziert diese gedankliche Fehlzündung ist, sieht man meiner Meinung schon allein daran, dass diese Verklärung als gegeben hingenommen und als Argumentationsgrundlage genommen wird. Als würde es keine Naturkatastrophen geben, als würden Gifte, in Fauna wie Flora nicht existieren oder keine Bedrohung für den Menschen darstellen. Diese Ausblendung, diese mangelhafte Differenzierung durchzieht die gesamte Argumentation.

Natürlich würde es manche Nahrungsmittel die wir kennen, so gar nicht geben, wenn der Mensch sie nicht durch Kreuzung und/oder Züchtung hervorgebracht hätte. Weizen, Reis, Bananen usw. würde es so nicht geben – genauso wie manche Unverträglichkeiten. Aber legitimiert das eine so bedenkenlose/gedankenlose Aussage?

Bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln, wissen wir eigentlich nichts über die Langzeitwirkungen. Wie werden diese verstoffwechselt, entstehen dabei andere Stoffwechselprodukte, steigt das Krebsrisiko, nehmen Unverträglichkeiten zu, wie wechselwirken diese mit den Umweltgiften wie Pestiziden und Herbiziden? Wir wissen es schlichtweg nicht – dennoch taucht oftmals die verharmlosende Frage auf „Wie kann dürreresistenter Reis Schaden verursachen?“ – nunja, dazu muss man eben einen Schritt weiter denken, als nur das „Füttern“, um mal in diesem kleinkindlichen Wortjargon zu bleiben.

In diesem falsch verstandenen Darwinismus – nicht der Mensch muss sich anpassen, sondern er passt die Natur an – kommt mir der Spruch in den Sinn „was nicht passt, wird passend gemacht“. Dabei zeigt uns die Evolution und auch oftmals unser Körper mit seinen verschiedensten Prozessen, dass nicht alles so linear abläuft wie wir das vielleicht gerne hätten oder uns denken.

Evolution ist Anpassung – und das dieser Prozess zum Leben gehört, ja immanent ist, sollte gerade eine Wissenschaftsjournalistin begreifen, und gerade in ihrer Polemik ein bisschen mehr überlegen. Und natürlich ist Anpassung nie fehlerfrei. Weder beim Menschen, noch bei der Natur als Ganzes.

Als Penicillin entdeckt wurde, respektiv Antibiotika, war das Thema Resistenzbildung völlig unbekannt. Das führte zu einer in Fleisch und Blut übergegangenen Praxis, diese Mittel gießkannenartig einzusetzen, ohne mögliche Folgen abzuwägen oder zu bedenken. Heute stehen wir vor 3MRGN und klopfen bei 4MRGN an die Tür – und die angeblich so umsorgende Pharmaindustrie zeigt keinerlei Intention sich dieser immer näher kommenden Katastrophe konsequent und vielleicht auch ganzheitlich stellen zu wollen. Wahrscheinlich mitunter befeuert vom Naturheilkunde-Bashing von Dr. Mai Thi Nguyen-Kim. Es mutet so an, wie die Öl-Riesen die noch das letzte Quentchen aus dem Geschäft mit Erdöl quetschen wollen, bevor auch nur in Erwägung gezogen wird, welche schädlichen Konsequenzen schon entstanden sind, und noch entstehen, und ob Alternativen dazu nicht schon entwickelt und gefördert gehören.

Und in dieser Art Behaviorismus sollen sich die Menschen von der Natur emanzipieren, also unabhängig machen? Den Ast absägen auf dem sie sitzen?! Selten (naja, leider nicht wirklich so selten) so einen Blödsinn gehört.

Ich frage mich in diesem Zusammenhang, welche Dystopie Dr. Mai Thi Nguyen-Kim hier eigentlich gedanklich beschwören wollte. Und vor allem, wieso sie dann ein Kind in die Welt setzt?! – Wenn man ihre Argumentation durchdekliniert, scheint es mir wie ein Widerspruch zu sein.

Solange wir uns nicht als Teil der Welt verstehen in der wir leben, stellt eine Emanzipierung von der Natur einen isolationistischen-ausbeuterischen Ansatz dar, der mit Schimpf und Schande durchdekliniert, enttarnt und auf den Sondermüll gedanklicher Fehlzündungen gehört.

Wenn wir hingegen (wieder) lernen, mit statt gegen die Natur zu leben, die Vielzahl an Heilmitteln integrativ und komplementär zu nutzen – vielleicht sichert das unser Überleben.